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Grüne Moleküle für den Wärmemarkt

By 2. Mai 2024Mai 6th, 2024No Comments

Interview mit Dr. Ernst-Moritz Bellingen, Leiter Wärmemarkt beim Wirtschaftsverband Fuels und Energie e.V. (en2x).

Der Gebäudebereich spielt eine große Rolle bei der Erreichung der Klimaziele. 33,5 Prozent des Endenergiebedarfs in Deutschland entfällt auf Warmwasser und Raumwärme – eine beachtliche Zahl. Von den rund 21,2 Mio. Heizungsanlagen bundesweit werden rund 5,7 Mio. mit flüssigen Brennstoffen wie Heizöl und Flüssiggas betrieben. Die Versorgung mit Heizöl EL und Flüssiggas erfolgt derzeit zu einem hohen Anteil durch en2x-Mitglieder.

Die en2x-Mitgliedsunternehmen wollen weiterhin mit ihren Produkten zur Wärmeversorgung der Gebäude in Deutschland beitragen. Dabei setzen sie zunehmend auf treibhausgasarme Brennstoffe und leisten damit einen wichtigen Beitrag für Klimaschutz und Versorgungssicherheit im Wärmemarkt. Wie genau sieht diese Zukunftsperspektive aus? Dazu Dr. Ernst-Moritz Bellingen, Leiter Wärmemarkt bei en2x.

Herr Dr. Bellingen, hinter dem en2x – Wirtschaftsverband Fuels und Energie stehen insbesondere große Unternehmen der Mineralölwirtschaft. Welchen Beitrag zum Klimaschutz kann ausgerechnet diese Branche leisten?

Dr. Ernst-Moritz Bellingen: Die Mineralölwirtschaft arbeitet hierzulande an ihrer Transformation: weg von fossilen und hin zu erneuerbaren Produkten. Umso wichtiger ist es, neben der Stromwende nun schnell auch eine Molekülwende in Gang zu setzen. Denn bislang hat Strom nur einen Anteil von 20 Prozent an unserer Energieversorgung, der Rest entfällt auf Moleküle. Selbst wenn, wovon wir ausgehen, die Elektrifizierung in Deutschland weiter zunehmen wird, heißt das, dass wir auch weiterhin große Mengen an gasförmigen und flüssigen Energieträgern benötigen: Als Kraft- und Brennstoffe im Verkehr und in Gebäuden sowie als Grundstoffe für die Industrie.

Welche Rolle spielt dabei der Gebäudebereich? 

Bellingen: Der Gebäudebereich, in diesem Fall auch oft Wärmemarkt genannt, ist ein wichtiger Sektor für das Erreichen der Klimaziele. Derzeit entfallen 33,5 Prozent des Endenergieverbrauches auf Raumwärme und Warmwasser – und beides wird überwiegend molekülbasiert produziert, d. h. mit fossilem Gas oder fossilem Öl. Die Reduzierung des Energiebedarfs, mehr Effizienz bei der Energienutzung, Hybridisierung unter Einbindung erneuerbarer Energien oder die vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien sind die Schlüssel, um im Wärmesektor die Klimaziele zu erreichen. Neben einer zunehmenden Elektrifizierung können auch grüne Moleküle, also regenerative Brennstoffe, bei der Wärmewende eine Rolle spielen.

Die Wärmeversorgung hierzulande ist seit den Diskussionen um das, auch als „Heizungsgesetz“ bekannt gewordene, Gebäudeenergiegesetz (GEG) auch in den Massenmedien ein wichtiges Thema. Wie schätzt Ihr Verband das ein?

Bellingen: Die in den Medien und der Öffentlichkeit zum Teil sehr emotional geführte Debatte um das GEG hat gezeigt, wie herausfordernd die Transformation des Wärmemarktes ist. Geschuldet ist dies insbesondere der enormen Vielfalt: Unterschiede in Sachen Siedlungsstruktur und Bausubstanz treffen auf ganz verschiedene individuelle Ansprüche und Möglichkeiten. Hinzu kommt: Energetische Modernisierungsmaßnahmen, von denen der Heizungstausch nur ein Teil ist, können Kosten im hohen fünfstelligen oder sogar im sechsstelligen Bereich verursachen. Geld, über das viele Menschen gar nicht verfügen oder das sie zur Altersabsicherung vorgesehen haben. Vor diesem Hintergrund und nach langen Diskussionen ermöglicht das GEG daher nun eine breite Auswahl an Erfüllungsoptionen im Modernisierungsfall.

Was bedeutet das GEG für Menschen, die eine Ölheizung oder Flüssiggasheizung besitzen?

Bellingen: Grundsätzlich gilt, dass bestehende Gas- und Öl-Brennwert- und -Niedertemperaturheizungen sowie die dazugehörigen Brennstoffe laut GEG ohne Altersbegrenzung wie gewohnt weiter genutzt werden können. Ebenso dürfen mehr als 30 Jahre alte öl- und gasbetriebene Standardheizkessel in Ein- und Zweifamilienhäusern unter bestimmten Umständen weiter betrieben werden, sofern die Besitzer ihr Haus mindestens seit dem 1. Februar 2002 selbst bewohnen. In einem solchen Falls muss erst nach einem Eigentümerwechsel der neue Hausbesitzer die Austauschpflicht innerhalb von zwei Jahren erfüllen. Allerdings will Deutschland bis 2045 klimaneutral werden, auch im Gebäudebereich. Deswegen greifen durch das GEG neue Regeln im Fall der Heizungsmodernisierung, d. h., wenn der bestehende Heizkessel ersetzt werden soll oder muss.

Was gilt dann?

Bellingen: Wer seine Heizungsanlage modernisieren möchte, muss nach einer Übergangsfrist bestimmte Mindestanteile an erneuerbaren Energien nutzen, um die Vorgaben des GEG zu erfüllen. Der ab 2024 bereits im Neubau vorgeschriebene Anteil von 65 Prozent erneuerbarer Energie ist bei der Heizungsmodernisierung erst dann notwendig, wenn vor Ort die gesetzliche kommunale Wärmeplanung abgeschlossen ist. Bis dahin gelten niedrigere und zeitlich gestaffelt ansteigende Anteile. Dazu gibt es gesetzliche Übergangsfristen zwischen dem Zeitpunkt der Modernisierung und erstmaliger Erfüllungspflicht. Ab 2045 müssen dann jedoch alle Heizungen klimaneutral betrieben werden.

Wie lassen sich die gesetzlichen Anforderungen praktisch umsetzen?

Bellingen: Das GEG ermöglicht eine breite Auswahl an Erfüllungsoptionen im Modernisierungsfall. Für Heizöl- oder Flüssiggaskunden, die auch weiter auf einen speicherbaren Energieträger im eigenen Tank setzen wollen, kann der erneuerbare Anteil an der Wärmerzeugung so beispielsweise durch den Einbau einer Hybridheizung, bestehend aus einem Heizkessel für flüssige oder gasförmige Brennstoffe und einer Wärmepumpe erbracht werden. Ebenso können die Vorgaben mit einem neuen Brennwertgerät und dem Einsatz eines Flüssigbrennstoffes mit einem entsprechenden erneuerbaren Anteil erfolgen. Bei Kombination mit einer Solarthermie-Anlage für Heizung und Warmwasser wird die gewonnene Solarwärme anteilig auf die erforderliche Erneuerbaren-Quote angerechnet. Die brennstoffseitige Erfüllung des GEG kann auch durch entsprechende Beimischung von Heizöl mit erneuerbaren Anteilen oder durch die entsprechende Verwendung von biogenem Flüssiggas erfüllt werden.

Wann werden die grünen Energieträger zur Verfügung stehen?

Bellingen: Bereits heute steht mancherorts Bioheizöl zur Verfügung. Derzeit arbeiten Heizölproduzenten und -handel intensiv an einem flächendeckenden Angebot für klimaschonende Heizölqualitäten. Auch Bio-Flüssiggas ist als regenerativer Brennstoff anerkannt. Für die Zukunft geht es darum, den erneuerbaren Anteil zu erhöhen und verstärkt fortschrittlichere Bio-Brennstoffe einzusetzen, die eine Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau vermeiden, weil sie aus Rest- und Abfallstoffen hergestellt werden.

Ist das praktisch erprobt?

Bellingen: Wie Lösungen in Kombination mit flüssigen Energieträgern erfolgreich funktionieren können, zeigen bereits seit Jahren einschlägige Umsetzungen in der Praxis. So haben im Rahmen eines groß angelegten Demo-Vorhabens von en2x und BDH bundesweit 25 ausgesuchte Wohnhäuser mittlerweile drei Heizperioden mit „grünem“ Heizöl hinter sich – und das mit Erfolg. Im Rahmen des 2020 gestarteten Demo-Vorhabens wurden dem Brennstoff erneuerbare Komponenten beigemischt. Die Heizungsanlagen wurden dafür zunächst mit einer Mischung aus normalem schwefelarmem Heizöl, sieben Prozent Fettsäuremethylester (FAME) und 26 Prozent hydrierten Pflanzenölen (HVO) betankt. Das macht insgesamt 33 Prozent erneuerbare Anteile im herkömmlichen Heizöl – und eine erhebliche Einsparung an Treibhausgasemissionen. Im Laufe des Vorhabens wurde die Quote des „grünen“ Anteils der Beimischung dann hochgesetzt. In der dritten Heizperiode wurden, orientiert an den Vorgaben des GEG, dem herkömmlichen Heizöl 65 Prozent HVO beigemischt. Während des Untersuchungszeitraumes wurden an den Heizungsanlagen weder technische Anpassungen vorgenommen noch Wartungsarbeiten durchgeführt. Überprüfungen der Anlagen erfolgten jeweils am Ende der Heizperiode mit einem positiven Ergebnis: Es gab keine brennstoffbedingten Mängel oder gar Heizungsausfälle.

Mit welchen Geräten können Haushalte solche Brennstoffe künftig nutzen?

Bellingen: Viele Geräte für flüssige Brennstoffe sind bereits für erneuerbare Energieträger ausgelegt. Für Technik rund um die Ölheizung wurde dafür speziell das Green Fuels Ready-Label geschaffen: Es zeichnet Heizungsanlagen, Tanks und Komponenten aus, die mit bis zu 100 Prozent erneuerbaren flüssigen Brennstoffen, also auch in Mischungen mit fossilen flüssigen Brennstoffen, betrieben werden können.

Wie schätzen Sie mögliche Kostenrisiken durch künftige CO2- und Brennstoffpreise ein?

Bellingen: Eine Vorhersage, wie sich Energiepreise entwickeln werden, ist immer schwierig, da eine Vielzahl von Faktoren darauf Einfluss nehmen. Eine Erhöhung der CO2-Aufschläge ist absehbar und gesetzlich festgelegt. Erneuerbare Brennstoffe bzw. Brennstoffanteile können dies umgehen, jedoch werden erneuerbare Kraft- und Brennstoffe in der Herstellung absehbar teurer bleiben als fossile Produkte und vermutlich nicht in so großen Mengen zur Verfügung stehen wie heutiges Heizöl. Maßnahmen, die den Brennstoffbedarf reduzieren, sind und bleiben daher in jedem Fall sinnvoll. Dazu gehört der Einbau von Hybridtechnik, aber auch Gebäudedämmung. Hybridanlagen ermöglichen zum Beispiel eine Auswahl des Energieträgers, die so erfolgen kann, dass der jeweils günstigere Energieträger genutzt wird. Generell gilt: Hybridheizungen, die Strom-Wärmepumpen mit effizienten Öl- oder Flüssiggaskesseln kombinieren und Brennstoffe mit erneuerbaren Anteilen nutzen, leisten einen wichtigen Beitrag für die Wärmewende.

Das klingt alles vielversprechend. Doch wird die eingangs angesprochene Molekülwende auch gelingen?

Bellingen: Grüne Moleküle in Form von Kohlenwasserstoffen sind nicht nur als Energieträger, sondern z. B. für die chemische Industrie und weitere Grundstoffindustrien als Rohstoffe unverzichtbar. Eine Molekülwende, als notwendige Ergänzung der Stromwende, ist also dringend notwendig, um die Energiewende und die Klimaschutzbestrebungen insgesamt zum Erfolg zu führen. Ein Selbstgänger ist sie deshalb leider noch nicht: Für viele der notwendigen Investitionen fehlen zum Beispiel noch verlässliche Geschäftsmodelle. Das muss sich ändern, denn die Klimaziele lassen kaum noch Zeit. Umso wichtiger ist hier ein konstruktiver Dialog zwischen Politik und Wirtschaft.